Gintoc lag mit seinem Sohn Hana vor ihrem Haus auf der üppigen Wiese, die sanft vom Licht des aufgehenden Mondes erhellt wurde und sah sich die Sterne an. Das taten die beiden in der warmen Jahreszeit öfters und genossen die gemeinsame Zeit zusammen. Er hatte ihn nur selten hier und war froh, wenn er die wenigen Stunden mit ihm auf diese Art und Weise zubringen konnte.
„Papa, diese vielen Sterne. Gibt es da noch andere wie uns?”
Gintoc räusperte sich. Sein Sohn stellte ihm diese Frage jedes Mal.
„Natürlich”, erwiderte er ruhig,”oder denkst Du wirklich, dass die Götter nur uns im unendlichen Universum versteckt haben?”
Er überlegte kurz.
„Nein, ich denke nicht, Papa.”
Die beiden lagen wortlos nebeneinander. Dann legte Hana seinen Kopf auf den Bauch seines Vaters und rutschte herum, bis er eine bequeme Position gefunden hatte. Gintoc streichelte ihn sanft durch seine Haare.
„Weisst Du, Hana, eines Tages werden wir zu den Sternen fahren und andere finden, die sind wie wir.”
„Aber Papa, das machen wir doch bereits. Du weisst schon, die vielen Raketen!”
„Richtig Hana, aber das ist erst der Anfang. Das Universum ist viel gewaltiger und wir müssen noch so viel lernen, bevor wir es richtig verstehen können.”
Mit einem Mal sauste am Himmel eine Sternschnuppe vorbei und verglühte mit einem langem Schweif in der Atmosphäre.
„Da, schau”, gluckste Hana vergnügt und zeigte auf die Sternschnuppe. “Das bringt doch Glück, oder nicht?”
Sein Vater nickte wortlos. Eine Träne rann ihm über das Gesicht und er wischte sie rasch weg, bevor sein Sohn sie bemerkte.
„Und wann fliegen wir denn zu den Sternen?”
„Bald, Hana, bald. Nur Geduld.”
Sein Sohn drehte den Kopf zum ihm.
„Aber Papa, wie bald ist bald? Und wenn sie losfliegen, kann ich dann mit dabei sein?”
Alles in ihm zog sich zusammen. Er konnte seinem Sohn kaum antworten. Mit belegter Stimme erwiderte er:„Sicher, Hana. Du musst nur noch ein bisschen durchhalten. Dann kannst Du als Astronaut irgendwann zu fernen Planeten reisen.”
Zufrieden sah sein Sohn wieder in den Himmel. Eine weitere Sternschnuppe flog über das Firmament.
„Noch eine, sieh doch Papa!”
„Ja, heute scheint zweifellos ein guter Abend zu sein.”
Hana kicherte leise und kuschelte sich näher an seinen Vater. Es war merklich kälter geworden. Gintoc griff nach der mitgebrachten Decke und deckte sich und seinen Sohn damit zu. Er achtete peinlichst genau darauf, keine der Infusionen zu behindern, die in Hanas Körper führten.
„Papa?”
„Ja, Hana?” Er wusste genau, was jetzt kam.
„Werde ich wieder gesund?”
Wie er diese Frage hasste. Nicht, weil sein Sohn sie ihm immer wieder stellte, sondern weil er keine richtige Antwort darauf geben konnte. Oder vielmehr, weil er sie ihm nicht geben wollte. Hana war unheilbar erkrankt an einem Virus, das seit einigen Jahren auftrat und ausschliesslich Kinder befiel. Die Diagnose vor ein paar Monaten war ein Schock und er hatte seither versucht, seinem Sohn die verbliebene Zeit so angenehm wie möglich zu gestalten. Aber irgendwann würde der Punkt kommen, an dem er ihn einweihen musste. Laut seinem behandelnden Arzt hatte Hana lediglich noch ein paar Wochen zu leben. Danach würde das Virus die lOrgane befallen und unweigerlich zu seinem Tod führen. Gintoc lenkte ab.
„Hast Du schon gehört, dass unsere Wissenschaftler einen anderen Planeten gefunden haben, auf dem theoretisch Leben möglich wäre?”
Hana riss staunend die Augen auf und schüttelte seinen Kopf.
„Ja, ein Sternensystem mit 8 Planeten. Und der dritte Planet liegt in einem sehr guten Abstand zu seiner Sonne. Vielleicht gibt es dort auch Leben.”
Hana grübelte lange. „Wie weit ist das entfernt?”
„Viele Lichtjahre.”
„Wie weit ist das, Papa?”
„Weit, sehr weit.”
Wieder hielt er kurz inne. Es schien, als ob er versuchte, die grösseren Zusammenhänge herzustellen.
„Das bedeutet, dass wir da nicht hinfliegen können, oder”, stellte er dann plötzlich enttäuscht fest.
„Ja Hana, leider richtig. Heute und morgen nicht, aber vielleicht irgendwann einmal.”
Sein Sohn seufzte leise, fand sich dann aber mit der Antwort ab.
„Aber weisst Du, was viel wichtiger ist, Hana?”
Sein Sohn drehte seinen Kopf wieder zu ihm.
„Dass wir zwei zusammen sind.”
Sein Sohn lächelte ihn an. „Ich hab dich lieb, Papa.”
„Ich dich auch, mein Kleiner, ich dich auch!”
Sie lagen noch ein paar Stunden im Gras und genossen die Ruhe. Später am Abend musste Gintoc seinen Sohn wieder ins Krankenhaus zurückbringen, da er jeweils nur ein paar Stunden bei ihm verbringen durfte.
In den folgenden Wochen raubte ihm das Virus zusehends die Kraft bis er kurz vor seinem Geburtstag in ein tiefes Koma fiel. Zur selben Zeit entdeckten Wissenschaftler auf einem Erkundungsflug in ihrem Sonnensystem eine Sonde, auf die in unbekannten Buchstaben das Wort „VOYAGER I” aufgedruckt war. An Bord fanden Sie eine seltsame goldene Scheibe und Koordinaten von genau von diesem Sonnensystem, das sie einige Monate zuvor entdeckt hatten.
Als Gintoc seinen Sohn wie jeden Tag im Krankenhaus besuchte und ihm die Nachricht von dieser Entdeckung überbrachte, zuckte er leicht mit dem Mundwinkel. So als wollte er lächeln und seinem Vater zeigen, dass er ihn verstanden hatte und sich über die Neuigkeit freute. Er hielt Hanas Hand und hatte das Gefühl, dass er ein leichtes Drücken spüren konnte, kurz bevor sein Sohn ein letztes Mal tief einatmete und schliesslich sein Herzschlag für immer aussetzte.
Sternenfahrer
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